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Interview

Mehr Infrastruktur für Menschen

Portrait of Swantje

Swantje Michaelsen

5 min Lesezeit

2. Mai 2022

Frau Michaelsen, wie ist Ihre Arbeit als Bundestagsabgeordnete? Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich zurzeit im Verkehrsausschuss??

Ich sitze gemeinsam mit vier anderen Grünen im Verkehrsausschuss des Bundestags. Hier habe ich die Chance, mich für meine Herzensthemen, den Rad- und Fußverkehr, zu engagieren.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir für die Mobilitätswende mehr Rad- und Fußwege brauchen. Dabei scheitern wir in den Kommunen oft an der Gesetzgebung des Bundes, deren zentrales Ziel der zügige Fluss des Autoverkehrs ist. Wir haben uns aber im Koalitionsvertrag vorgenommen, genau das zu ändern. Und ein neues Verkehrsrecht auf die Beine zu stellen. Das war für mich auch die entscheidende Motivation, für den Bundestag zu kandidieren.

© Stefan Kaminski
© Stefan Kaminski

Spannender Punkt. Lassen Sie uns hier noch einmal tiefer reinschauen. Wie genau sieht dieses Scheitern aus, und was konkret wollen Sie ändern?

Nehmen wir an, eine Kommune will in einer Ortschaft das Tempolimit 30 einführen. Dann darf sie das möglicherweise nicht, weil das Straßenverkehrsrecht des Bundes dies nicht zulässt. Es ist schwer, mit Gesundheit, Klimaschutz oder einer Umverteilung des öffentlichen Raumes zu argumentieren, wenn die Flüssigkeit des Autoverkehrs das einzige Ziel ist, das im Straßenverkehrsrecht festgelegt ist. Wir wollen das ändern, indem wir neue Ziele im Verkehrsrecht verankern und so den Kommunen mehr Spielraum geben. Das ist nicht nur ein entscheidender Schritt, um die Mobilitätswende voranzubringen, sondern er stärkt auch das Vertrauen in demokratische Institutionen. Denn mit dem entsprechenden Spielraum sind Kommunen zukünftig in viel größerem Maße entscheidungs- und handlungsfähig.

Sie sprachen Ihre Herzensthemen an. Was wollen Sie konkret im Bereich Rad- und Fußverkehr bewirken?

Ich möchte erreichen, dass wir beim Ausbau der Radinfrastruktur dranbleiben – so, wie es auch der Koalitionsvertrag mit der Umsetzung des nationalen Radverkehrsplans festschreibt. Dafür ist es zum Beispiel wichtig, dass die Gelder im Rahmen des bundesweiten Förderprogramms „Stadt und Land“ verstetigt werden. Mit diesen Geldern werden Maßnahmen zur Verbesserung der Rad-Mobilität in den Kommunen gefördert. Dass wir hier noch viel zu tun haben, zeigt der jährliche Fahrradklima-Test des ADFC. Die Stadt Hannover beispielsweise liegt mit ihrem Radverkehrsnetz auf Platz 2, hat jedoch in puncto Qualität die Note 3,7. Heißt konkret: Selbst die Vorreiter:innen in Sachen Radinfrastruktur sind auf einem vergleichsweise schlechten Niveau. Umso wichtiger ist es, dass die Gelder im Radverkehrstopf auch in den nächsten Jahren gesichert sind. Daneben möchte ich dazu beitragen, den Fußverkehr auf der Bundesebene zu verankern. Wir wollen eine nationale Fußverkehrsstrategie entwickeln und mit finanziellen Mitteln hinterlegen. Das wird dann die Kommunen beim Ausbau von Fußwegen oder Aufenthaltsflächen unterstützen.

Ist die Stärkung des Rad- und Fußverkehrs der Schlüssel für die Mobilitätswende in Deutschland?

Der Schlüssel für den Erfolg der Mobilitätswende ist die Infrastruktur. Wie verändern wir unsere Straßen? Wie ist der ÖPNV beschaffen?

Bisher haben wir das Geld sehr einseitig in Richtung Autoverkehr verteilt. Das gilt es zu drehen. Wir haben in der Ampelkoalition eine große Bandbreite an Meinungen. Doch mit der aktuellen Debatte um die Energieunabhängigkeit von Russland erhalten wir einen neuen Fokus auf die Themen Energie- und Mobilitätswende. Ich bin gespannt, welche Diskussionen jetzt möglich sind. Wir brauchen eine Infrastruktur, die den Menschen, mehr Raum gibt. Für Aufenthalt, Spiel oder Begegnung – und um sicher und komfortabel mit dem Rad und zu Fuß unterwegs zu sein. Da der öffentliche Raum schon verteilt ist, müssen wir Flächen umverteilen. Die Infrastruktur ist nicht naturgegeben, sie ist von uns Menschen gemacht. Und wir Menschen können sie auch ändern. Das fühlt sich für manche ungerecht an. Doch wenn wir genauer hinschauen, dann kann mehr als ein Drittel der Menschen in Deutschland gar nicht Auto fahren. Dazu kommen Menschen, die kein Auto haben können oder wollen. Mit besseren Rad- und Fußwegen machen wir also einen großen Teil der Bevölkerung selbständig und sicher mobil. Die Mobilitätswende ist damit auch eine Frage der Teilhabe und der Gerechtigkeit.

Sie sind bereits seit langem mit dem Mobilnetzwerk verbunden. Was kann es Ihrer Meinung nach für die Region Hannover bewirken?

Stimmt, als Geschäftsstellenleiterin beim ADFC Stadt Hannover war ich regelmäßig bei den Netzwerktreffen dabei. Ich halte den Netzwerkgedanken für absolut entscheidend in der Umsetzung der Mobilitätswende. Er bewirkt, dass wir zusammenkommen und verschiedene Blickwinkel einbringen. Der Austausch ist außerdem wichtig, um sich gegenseitig zu stärken. Zu erkennen, was woanders gut geklappt hat, macht Mut, es selbst auszuprobieren.

Welche konkrete Idee finden Sie zurzeit überzeugend?

Ich bin eine große Freundin der Verkehrsversuche. Mit diesen Reallaboren schaffen wir es, sehr kurzfristig Veränderungen im öffentlichen Raum vorzunehmen. Statt lange den kompletten Umbau einer Stadt zu planen, erreichen wir mit Pollern und Farbe Veränderungen, die neue Mobilitätsformen sofort erlebbar machen. Und uns lernen lassen für nächste Schritte. Indem wir Veränderung so schnell sichtbar machen, können sie ein Anreiz für andere sein, es ebenfalls zu versuchen. Reallabore sind damit auch ein sehr guter Katalysator für weitere Projekte der Mobilitätswende.

Ein Projekt, das derzeit viel im Gespräch ist, ist das 9 Euro ÖPNV Ticket, das die Bundesregierung ab Mai für drei Monate in sämtlichen Verkehrsverbünden einführen möchte. Was halten Sie davon?

Ich halte das für ein gute Idee. Ich wäre jedoch vorsichtig damit, es mit der Motivation Verkehrswende zu versehen. Es ist in erster Linie Teil eines finanziellen Entlastungspaketes in einer wirtschaftlich angespannten Situation. Dadurch, dass Grüne mit am Verhandlungstisch sitzen, profitieren von dieser sozialen Maßnahme nicht nur Menschen, die Auto fahren, sondern eben auch jene, die mit dem ÖPNV mobil sind. Allein das ist schon ein wichtiges Signal in Richtung Mobilitätswende und eine Form sozialer Gerechtigkeit.

Das Interview führte Swantje Michaelsen im April 2022 mit dem Mobilnetzwerk Hannover.