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Neue Spielräume

-> Bericht zum Online-Fachgespräch der Bundestagsfraktion am 10.Juli 2024

Swantje Michaelsen, Mdb in Hannover

Straßenverkehrsrechtsreform: Neue Spielräume für die Verkehrswende vor Ort

In den letzten Wochen wurden wichtige Meilensteine für die Verkehrswende vor Ort erreicht. Mit der Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrsordnung (StVO) sind wir Bündnisgrüne dem Ziel einen großen Schritt näher gekommen, den Kommunen mehr Handlungsspielräume bei der Gestaltung des Verkehrs zu eröffnen. Möglich wird dies durch die Aufnahme der neuen Ziele Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung ins Straßenverkehrsrecht.

Aufgrund vieler Fragen aus den Kommunen, von Grünen-Mitgliedern und interessierten Bürger*innen haben Swantje Michaelsen und Stefan Gelbhaar aus der Bundestagsfraktion kurzfristig ein Online-Fachgespräch zur Reform des Straßenverkehrsrechts anberaumt. Gemeinsam mit den Gästen Dr. Almut Neumann, ehemalige Bezirksstadträtin aus Berlin-Mitte und Dr. Roman Ringwald, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei BBH, haben sie die Reform des Straßenverkehrsrechts eingeordnet und die wichtigsten Inhalte der StVO-Novelle erklärt.

Die Veranstaltung stieß mit über 300 Teilnehmer*innen auf enorme Resonanz. Aufgrund der großen Nachfrage planen wir eine weitere Veranstaltung im September 2024. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion zusammen.

Gesamtbilanz: Die Straßenverkehrsrechtsreform stellt Roman Ringwald und Almut Neumann zufolge eine erhebliche Verbesserung gegenüber der aktuellen Rechtslage dar. Das betrifft insbesondere das neue Straßenverkehrsgesetz, das den Spielraum für alle weiteren Reformen der Straßenverkehrsordnung (StVO) deutlich erweitert. Die StVO-Novelle nutzt den neuen Spielraum bereits bei der Bereitstellung von Flächen für den Radverkehr, Fußverkehr und ÖPNV. Bei Tempo 30 und der Parkraumbewirtschaftung gibt es Verbesserungen.

Bisheriges Straßenverkehrsrecht: Almut Neumann schilderte anhand von Beispielen aus der kommunalen Praxis, wie eng der Rahmen für Kommunen bei der Anordnung von Tempo 30, Zebrastreifen oder Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung bisher war. Insbesondere die Autozentriertheit der StVO, die hohen Nachweispflichten der StVO (§45 Abs. 9 Satz 3) und die Beschränkung der StVO auf rein verkehrliche Ziele bereiten den Kommunen bisher Probleme, wenn sie Geschwindigkeit reduzieren, den Umweltverbund fördern oder für mehr Verkehrssicherheit sorgen wollten.

Verbesserungen für den Radverkehr: In Nebenstraßen konnte schon auf Basis der alten StVO Platz für den Radverkehr geschaffen werden. In Zukunft können aber auch durchgängige Radwegenetze an Hauptverkehrsstraßen leichter angeordnet werden. Die neue StVO erleichtert es, Flächen zugunsten des Radverkehrs umzuverteilen. Das kann beispielsweise bedeuten, eine Parkspur an einer Hauptverkehrsstraße in einen geschützten Radfahrstreifen umzuwandeln. Eine Rechtfertigung, den Radverkehr ins Nebennetz abzudrängen, lässt sich der StVO-Novelle nicht entnehmen.

Verbesserungen für den Fußverkehr: Bisher gab es für die Anordnungen von Zebrastreifen hohe Anforderungen, insbesondere musste eine qualifizierte Gefahrenlage nachgewiesen werden (Beleg einer überdurchschnittlich hohen Gefahr anhand von Unfallzahlen). Hier verändert sich die Rechtslage, weil Flächen des Fuß- und Radverkehrs künftig auch auf Basis der neuen Ziele städtebauliche Entwicklung, Gesundheit, Klima- und Umweltschutz angeordnet werden können. Ob und welche Nachweise Kommunen dann erbringen müssen, muss noch in der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) geklärt werden. Dis bisherigen Vorgaben der Verwaltungsvorschriften und der technischen Regelwerke passen nach Ansicht der beiden Expert*innen jedenfalls nicht mehr zur Intention der Straßenverkehrsrechtsreform, den Kommunen mehr Handlungsspielraum zu geben und steht auch im Widerspruch zu den vielen neuen Anordnungsmöglichkeiten der StVO.

Verbesserungen für den Busverkehr: Auch bei der Ausweisung von neuen Busspuren oder Bypässen für den Busverkehr ist in Zukunft kein Nachweis einer Gefahrenlage mehr nötig. Die aktuelle Verwaltungsvorschrift, die vorsieht, dass pro Stunde 20 Busse auf dieser Strecke fahren müssen, steht in klarem Widerspruch zur neuen StVO.

Tempo 30: Tempo 30 kann (noch) nicht auf Basis der neuen Ziele angeordnet werden. Allerdings erhalten die Kommunen deutlich mehr Möglichkeiten, weil sie künftig auch an Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Zebrastreifen erleichtert Tempo 30 anordnen können (d.h. ohne Nachweis einer qualifizierten Gefahrenlage). Bisher war das nur vor Schulen, Kitas, Altenheimen, Pflegeheimen, Krankenhäusern möglich. Zudem können Kommunen künftig Lücken bis zu 500 Metern zwischen zwei Tempo 30 Abschnitten schließen. Roman Ringwald hält es für möglich, dass Tempo 30 insbesondere in Großstädten durchgängig für größere Gebiete angeordnet werden kann. Im Ergebnis könne man in hochverdichteten Gebieten zu flächendeckendem Tempo 30 kommen, auch wenn die Reform das nicht explizit als Ziel ausruft.

Parkraumbewirtschaftung: Bisher konnten Parkraumbewirtschaftungszonen nur angeordnet werden, wenn erheblicher Parkdruck besteht. Auf Basis der Straßenverkehrsrechtsnovellen können Kommunen Parkraumbewirtschaftung auch dort anordnen, wo Parkdruck in Zukunft droht, d.h. sie können vorsorgend tätig werden. Außerdem kann Parkraumbewirtschaftung künftig auf Basis eines städtebaulichen Konzepts angeordnet werden.

Weiterer Prozess: Die Kommunen können jetzt Anordnungen zur Umverteilung von Flächen für den Radverkehr und Busverkehr vorbereiten und. prüfen, ob sie die neuen Möglichkeiten von Tempo 30 und zur Anordnung der Parkraumbewirtschaftung nutzen können. In den kommenden Wochen erwarten wir die Verkündung von StVG und StVO, damit tritt die neue Rechtsgrundlage dann in Kraft und kann angewendet werden.

Im Nachgang der Novellen von StVG und StVO wird auch die Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) angepasst werden. Zwar empfehlen Roman Ringwald und Almut Neumann speziell bei der Anordnung von Zebrastreifen oder der Anordnung von Tempo 30 an Schulwegen, auf die Vorgaben der VwV-StVO zu warten. Sie machen aber auch deutlich: Grundsätzlich geht es jetzt darum, die neuen Spielräume des Straßenverkehrsrechts zu nutzen. StVG und StVO bilden den Rechtsrahmen, auf dem auch Gerichte urteilen werden. Sie müssen - ebenso wie in Zukunft die Vorgaben der Verwaltungsvorschriften - mutig angewendet und umgesetzt werden.