Warum das Straßenverkehrsrecht bisher die Verkehrswende blockierte
Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) kannte bis zur Novelle 2024 nur zwei Ziele: alle Maßnahmen sollten die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs fördern. Besonders der Aspekt der Leichtigkeit – oft gleichgesetzt mit dem reibungslosen Verkehrsfluss für Autos – hatte einen sehr hohen Stellenwert. Diese Priorisierung hat die Verkehrswende stark ausgebremst. Denn Maßnahmen, die den Rad-, Bus- und Fußverkehr fördern, bedürfen oft einer Neuaufteilung des öffentlichen Raumes, also der Einschränkung des Autoverkehrs (z.B. niedrige Geschwindigkeiten). Bisher konnten Kommunen solche Einschränkungen nur vornehmen, wenn sie nachweisen konnten, dass diese aus Sicherheitsgründen dringend erforderlich waren. In der Praxis bedeutete das: erst nachweisbare Unfälle rechtfertigen Veränderungen – eine vorsorgende Planung war nicht möglich.
Mit der Reform des Straßenverkehrsgesetzes wurde diese veraltete und in vielen Augen zynische Rechtslage endlich überarbeitet. Denn neben der Sicherheit und Leichtigkeit wurden nun auch Klima- und Umweltschutz, städtebauliche Entwicklung und Gesundheit als neue Hauptziele im StVG verankert. Nun kann ein Radweg angelegt werden, um ein Quartier städtebaulich zu entwickeln, oder eine Busspur, um den Klimaschutz zu fördern. Kommunen können jetzt mit den Zielen argumentieren, die sie mit der Maßnahme verfolgen.
Wie die alte Straßenverkehrsordnung Veränderungen blockierte
Der bisherige Vorrang des reibungslos fließenden Autoverkehrs hat sich auch auf die untergeordnete Straßenverkehrsordnung (StVO) niedergeschlagen. Sie enthält die konkreten Regelungen für verkehrsrechtliche Maßnahmen, beispielsweise wann Tempo 30 angeordnet werden darf. In der StVO gibt es zwei wichtige Hürden für Anordnungen:
- Einfache Gefahrenlage: Es musste nachgewiesen werden, dass eine (abstrakte) Gefahr von der aktuellen Situation ausgeht (§45 Abs. 9 Satz 1). Eine solche kann im Straßenverkehr an den meisten Stellen nachgewiesen werden.
- Qualifizierte Gefahrenlage: Es muss nachgewiesen werden, dass ein bestimmter Bereich überdurchschnittlich gefährlich ist, dass eine akute Gefahr besteht. Dafür mussten idR Unfälle nachgewiesen werden (§45 Abs. 9 Satz 3). Diese (sehr hohe) Hürde galt bisher für fast alle verkehrsrechtlichen Maßnahmen.
Insbesondere an der zweiten Hürde scheiterten in der Vergangenheit viele verkehrsrechtliche Anordnungen zugunsten von Bus, Rad, und Fußverkehr.
Was die Reform ändert
Mit der neuen StVO entfallen diese Hürden für Maßnahmen zur Förderung des Fuß-, Rad- und Busverkehr – sofern sie auf Basis der neuen Ziele erfolgen. Es ist dann nicht mehr erforderlich, eine Gefahrenlage nachzuweisen. Das bedeutet: Wenn eine Stadt oder Gemeinde das Klima mit der Förderung des Busverkehrs schützen will oder ein Quartier mit Radwegen städtebaulich entwickeln will, müssen sie das nicht länger mit Verkehrssicherheitsargumenten begründen und Unfallzahlen nachweisen.
Mit der Reform ist es der Ampelregierung gelungen, einen Paradigmenwechsel im Straßenverkehrsrecht einzuleiten. Endlich haben die Kommunen mehr Handlungsspielraum, um ihre Straßen sicherer zu machen und die Verkehrswende aktiv voranzutreiben.